Kontext

Nichtübertragbare, chronische Krankheiten stellen eine der grössten Herausforderungen für das Gesundheitswesen dar. Fast 70% aller Todesfälle und bei Männern über 50%, bei Frauen rund 70% der verlorenen potenziellen Lebensjahre* sind in der Schweiz auf nichtübertragbare chronische Krankheiten zurückzuführen. Zu den Hauptverursachern von Todesfällen und verlorenen potenziellen Lebensjahren zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Erkrankungen der Atemwege. Demenz, Diabetes, aber auch Stürze im Alter tragen signifikant zur Krankheitslast in der Schweiz bei.

Die wichtigste, nicht auf chronische Krankheiten zurückzuführende Ursache von verlorenen potenziellen Lebensjahren sind die (weiteren) Unfälle und Gewalteinwirkungen. Aber auch hier ist fast die Hälfte der verlorenen potenziellen Lebensjahre auf Suizide zurückzuführen, welche wiederum in engem Bezug zu den Depressionen stehen (BFS 2016).

*Die verlorenen potenziellen Lebensjahre entsprechen der Summe aller Differenzen zwischen dem Todesalter der einzelnen Verstorbenen und dem (potenziell erreichbaren) Mindestalter von 75 Jahren.

Grafik: Ursachen vorzeitiger Todesfälle im Jahr 2013, mit Fokus auf Krebs, den Herz-Kreislauf-Erkrankungen Krankheiten der Atmungsorgane und Diabetes (Bundesamt für Gesundheit 2016) (Bundesamt für Gesundheit 2016, Nationale Strategie Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie) 2017–2024)
2014 wurde erstmals eine Schätzung der direkten sowie indirekten Kosten* aller nichtübertragbaren Krankheiten in der Schweiz vorgelegt (Wieser 2014). Dieser Schätzung zufolge betrugen die direkten Kosten aller nichtübertragbaren Krankheiten im Jahr 2011 51 Milliarden Franken, was 80 % der gesamten (direkten) Gesundheitsausgaben entsprach. Die höchsten Kosten werden dabei durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht (10,3 Mrd. CHF), gefolgt von muskuloskelettalen Erkrankungen (8,7 Mrd. CHF) und psychischen Erkrankungen (6,3 Mrd. CHF). (Die untenstehende Grafik bildet die direkten und indirekten Kosten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, muskuloskelettale Erkrankungen, Krebs, chronische Atemwegserkrankungen und Diabetes ab.)

Die indirekten Kosten (informelle Pflege, Erwerbsausfall etc.) aller nicht übertragbaren Krankheiten schätzen die Autorinnen und Autoren auf einen Wert zwischen mindestens 29 und höchstes 44 Milliarden Franken – wobei die grosse Spannweite der Schätzung auf die unvollständige Datengrundlage im Bereich der indirekten Gesundheitskosten zurückzuführen ist.

Nichtübertragbare Krankheiten verursachen neben dem grossen menschlichen Leid bereits heute hohe Gesundheitskosten. Zu erwarten ist, dass ihre Bedeutung angesichts der demographischen Entwicklung noch zunehmen wird.

Diese Zahlen geben Hinweise auf das enorme Einsparpotenzial, welches Prävention und Gesundheitsförderung von chronischen Krankheiten aufweisen (siehe auch folgendes Kapitel).

* Indirekte Kosten entstehen durch Arbeitsunfähigkeit, Produktionsausfälle, informelle Pflege etc.

Grafik: Direkte (oben) und indirekte Kosten* (unten) von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebserkrankungen, chronischen Erkrankungen der Atemwege und muskuloskelettalen Erkrankungen im Jahr 2011 (Bundesamt für Gesundheit 2016)

*Der schraffierte Bereich bildet die Unsicherheiten aufgrund der unvollständigen Datengrundlage ab. (Bundesamt für Gesundheit 2016, Nationale Strategie Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie) 2017–2024)
Gemäss Schweizerischem Gesundheitsobservatorium (2015) stehen in der Schweiz aufgrund der hohen Verbreitung und der damit verbundenen Krankheitslast die folgenden chronischen Krankheiten im Fokus: Krebs, Diabetes, Herzkreislauf-Krankheiten und Atemwegserkrankungen, muskuloskelettale Erkrankungen, Depressionen und Demenzerkrankungen. Viele dieser Krankheiten werden durch das Verhalten der betroffenen Personen mitverursacht. Im Vordergrund stehen Rauchen, exzessiver Alkoholkonsum, ungesunde Ernährung und zu wenig Bewegung.

Grafik: Krankheiten und Einflussfaktoren (Bundesamt für Gesundheit 2016) (Bundesamt für Gesundheit 2016, Nationale Strategie Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie) 2017–2024)
Mit krankheitsspezifischer Primär- und Sekundärprävention und krankheitsübergreifender "allgemeiner" Gesundheitsförderung könnte ein grosser Teil der nichtübertragbaren Krankheiten und der Krankheitskosten vermieden werden. Knapp 60% des Verlusts an gesunden Lebensjahren in der europäischen Region entfallen laut einem Bericht der WHO auf sieben Risikofaktoren: Tabakkonsum; übermässiger Alkoholkonsum; Bluthochdruck; hohes Blutcholesterin; Übergewicht; niedriger Obst- und Gemüsekonsum sowie Bewegungsmangel (WHO Europa 2006).

Die EU-Kommission geht davon aus, dass 80% der Fälle von koronarer Herzkrankheit und 90% der Fälle von Typ-2-Diabetes vermieden werden könnten, wenn sich alle Menschen an die Empfehlungen bezüglich Ernährung, Alkohol, Bewegung und Tabak halten würden (Commission of the European Communities 2005). Allein durch den Verzicht auf Tabakkonsum kann das Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden, um rund 50% reduziert werden (CDC 2010; WHO 2016).

Die Krebsliga Schweiz schätzt, dass mit einem gesunden Lebensstil nur halb so viele Menschen an Krebs erkranken würden (Obrist 2005). Und nach Hochrechnungen des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin Zürich könnten über 40% der wiederkehrenden, kurzen Depressionen mit vermehrter körperlicher Aktivität vermieden werden (Smala 2001).
Um den enormen Herausforderungen durch die nichtübertragbaren Krankheiten zu begegnen, hat der Bundesrat 2016 eine Strategie zur Prävention von nichtübertragbaren Krankheiten (NCD-Strategie) verabschiedet (BAG 2016). Diese Strategie macht einerseits auch auf gesundheitspolitischer Ebene deutlich, dass sich das Programm EviPrev bereits seit Jahren einer der dringlichsten Aufgaben des Gesundheitswesens annimmt – nämlich der Prävention bzw. Reduktion nichtübertragbarer Krankheiten. Andererseits zeigt die Strategie auf, dass der von EviPrev verfolgte Lösungsansatz – evidenzbasierte Prävention und Gesundheitsförderung verstärkt in der (Grund-)Versorgung zu verankern – von zentraler Bedeutung ist. So widmet sich Handlungsfeld 2 der NCD-Strategie des Bundes explizit der "Prävention in der Gesundheitsversorgung".

EviPrev leistet in diesem Zusammenhang seit Jahren Grundlagenarbeit. Zudem werden konkrete Instrumente und Hilfsmittel erarbeitet, welche Fachpersonen in der Umsetzung evidenzbasierter Prävention und Gesundheitsförderung unterstützen sowie den Zugang zu themenspezifischen Präventions-Programmen erleichtern und befördern. Der Massnahmenplan zur NCD-Strategie sieht auch eine verstärkte Nutzung neuer Technologien im Bereich der Prävention vor. Ein Ziel von EviPrev ist es denn auch, die Voraussetzungen für eine strukturierte Aufnahme von Daten zu präventivmedizinischen Massnahmen in das elektronische Patientendossier zu schaffen.